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Joja Wendt im Interview: Mit Haut und Haaren Musiker
23. Juni 2021
Joja Wendt ist einer der erfolgreichsten deutschen Live-Pianisten und hat auf den Bühnen der ganzen Welt gespielt. Während der Pandemie bedingten Konzertpause ist er von den Klaviertasten zur Computertastatur übergegangen und hat in seiner Biografie „Spiel doch mal leiser!“ auf sein Leben voller Musik zurückgeblickt. Mit erfrischender Ehrlichkeit erzählt Joja Wendt von seiner Kindheit, seinem beruflichen Werdegang und prägenden Begegnungen in fernen Ländern wie Ägypten, China und Uganda. Wir haben den Erfolgsmusiker in ein Gespräch verwickelt. Dabei haben wir nicht nur über seine Biografie gesprochen, sondern auch über seine ganz eigene Art, Jazz, Klassik und hohe Spielkunst mit Entertainment und Humor zu verbinden. Ein Gespräch, das richtig Lust auf seine Live-Konzerte macht!
Unser Interview mit Joja Wendt
Sie haben die Konzertpause durch die Corona Pandemie genutzt, um Ihre Biografie zu schreiben. Wie kam es dazu? Hatten Sie diese Idee schon länger?
Während Corona habe ich erstmalig so richtig Zeit gehabt. Alle Konzerte waren abgesagt, man konnte nicht reisen. Hier in Hamburg war sogar Ausgangssperre. Da habe ich erstmal die Vision verloren, warum ich das alles hier überhaupt mache. Ich kann nicht sagen, dass ich besonders viel Klavier geübt hätte. Man räumt erstmal den Keller auf und sortiert Noten, macht all die Dinge, die sowieso über die Jahre liegen geblieben sind. Und dann, ab einem gewissen Punkt, lässt man das Leben ein bisschen Revue passieren. Die Pandemie ist ja schon eine Zäsur gewesen und da kann man dann ruhig einmal den Blick zurückrichten.
Dabei sind mir dann viele sehr unterhaltsame, sehr lustige Geschichten eingefallen, die einem international spielenden Pianisten passieren, die ein gewisses Lebensgefühl transportieren und die nicht so alltäglich sind für Leute, die den Beruf nicht haben. Zusammen mit Dr. Priska Jones, die früher für Presse und Promotion bei der DEAG zuständig gewesen ist, habe ich alles gesammelt und überlegt: „Sag mal, wie war das noch? Und wann war das?“ Und während dieses Prozesses ist aus den Geschichten, die ich eigentlich nur sammeln wollte, eine Biografie geworden, ohne dass ich das ursprünglich geplant hätte.
Eine dieser Geschichten ist dabei ganz besonders präsent. Gleich im ersten Kapitel Ihrer Biografie beschreiben Sie ein regelrechtes Albtraum-Szenario, den Autounfall, bei dem Sie sich die Hand so schwer verletzten, dass es beinahe Ihre Karriere beendete. Wie kam es zu der Entscheidung, ausgerechnet an diesem Punkt anzufangen?
Dieser Moment war der ‚turning point‘, nicht nur in meiner Karriere, sondern auch in meinem Leben. Ich war damals 27 Jahre alt und habe das Leben noch sehr leichtgenommen. Ich bin viele Dinge sehr spielerisch angegangen. Das ist nicht das Schlechteste. Man lernt spielerisch schneller, man entwickelt sich besser. Das Lernen ist nicht so zwanghaft, sondern natürlicher. Aber es kommt der Moment, wo man all die Möglichkeiten und das Potential, das man hat, kanalisieren und in Disziplin verwandeln muss.
Ich werde so oft angesprochen von Leuten, die sagen, ich hätte so viel Glück gehabt. Und ich wollte auch ganz bewusst mal zeigen, dass ich auch richtige Tiefpunkte in meinem Leben hatte. Zeiten, in denen ich gar nicht sicher war, ob es überhaupt noch weiter geht. Keiner wusste, ob ich je wieder Klavierspielen kann – zumindest auf dem Niveau. An diesem Punkt habe ich angefangen, wirklich hart zu arbeiten. Ich habe mit Haut und Haaren alles gegeben, was ich hatte und mein Leben komplett darauf ausgerichtet, dass das wieder in Ordnung kommt. Und das hätte ich vielleicht nicht gemacht und es wäre auch nicht notwendig gewesen, wenn ich diesen Unfall nicht gehabt hätte. Deshalb steht dieser Moment am Anfang. Außerdem hat der Leser dann gleich einen dramatischen Einstieg in die Geschichte und denkt sich: „Oh, das liest sich ja wie ein Krimi.“
Danach machen Sie klassisch da weiter, womit andere vermutlich beginnen würden. Bei Ihrer Kindheit. Die ist nämlich auch der Ursprung Ihres Buchtitels: „Spiel doch mal leiser!“ Ein Satz, den sicher jeder Musiker schon mal von der Familie oder den Nachbarn gehört hat.
Ja, das zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben eines jeden Musikers. Aber es soll auch ein wenig im übertragenen Sinne gemeint sein. Es wird immer Leute geben, die dir sagen, wie du die Dinge zu machen hast. Und der Untertitel des Buches lautet ja „Warum es gut war, dass ich darauf nicht gehört habe“. Wenn man authentisch und am Ende auch erfolgreich sein will, eine eigene Vision hat und fühlt, was für einen richtig ist, dann muss man diesem Weg folgen.
Meine Mutter hat zu mir zum Beispiel gesagt: „Spiel nicht irgendwo im Hintergrund. Mach dein Ding und dann musst du das auch ganz klar adressieren an die Leute, die du erreichen willst.“ Und das bedeutet, dass man dann eben laut herausgeht und sich nicht versteckt.
Mein Vater sagte: „Du musst springen!“ Springen und zwar sehenden Auges. Wenn du was erreichen willst, dann musst du rausgehen, dann musst du andere Leute kennenlernen und deine Komfortzone verlassen. Ich selbst musste sehen, wie ich meinen Horizont immer wieder erweitere, und irgendwann sagen: „Ich will jetzt eine Solo-Karriere machen“. All das steckt in diesem Titel: „Spiel doch mal leiser!“

Zu springen heißt dann im Grunde ja nichts anderes, als für die Möglichkeiten bereit sein. Wenn man, so wie Sie, zum Beginn seiner Laufbahn Joe Cocker in der Kneipe trifft und das zu dem ersten großen Auftritt führt, darf man vermutlich keine Sekunde zögern, sonst ist die Chance vertan.
Klar, war es Glück, dass er reinkam. Aber jeder hat mal das Glück, einen großen Star hautnah zu erleben. Das Wichtige war aber, dass ich bis dahin meine Hausaufgaben gemacht hatte und dass ich das spielen konnte, was ihm gefallen hat. Sonst hätte ich mir maximal ein Autogramm holen können. Dann hätte ich jetzt ein tolles Autogramm von Joe Cocker, hätte aber nie mit ihm zusammen auf der Bühne gestanden. Du musst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dir das Glück begegnet, und wenn es dir dann begegnet, solltest du auch zugreifen.
Angst hatten Sie dann kurz vor dem Auftritt aber doch. In der Biografie schildern Sie das ganz genau. Ein Hin und Her zwischen Selbstzweifel und Selbstbehauptung, womit sich sicher jeder identifizieren kann, der vor großen Aufgaben steht.
Genau, man muss sich irgendwann behaupten und das Risiko eingehen, zu scheitern. Dabei hilft es, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Klar, es geht nun mal nicht immer alles glatt. Was hatte ich für eine Angst, das erste Mal vor so vielen Leuten zu spielen. Ich dachte: „Warum setze ich mich bloß diesem Stress aus? Jetzt bewerfen die mich gleich mit Tomaten.“ Im Rückblick ist das alles super gelaufen, es hätte allerdings auch richtig schief gehen können. Aber nur so hat man die Chance, auch mal richtig was zu reißen. Und das habe ich eben nicht dadurch geschafft, dass ich darauf gehört habe, wenn es hieß: „Spiel doch mal leiser!“
„Leise spielen“ lässt sich auch nicht damit vereinbaren, durch die Musik Emotionen auf die Bühne zu bringen.
Stimmt, das Schöne an Musik ist, dass sie Emotionen transportiert, Emotionen verstärkt. Es gibt kein Naturvolk, das ohne Musik auskommt. Das scheint ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein. Und was für mich das Wichtigste ist, Musik ist eine internationale Sprache. Das heißt, ich kann auf der ganzen Welt spielen und alle verstehen, was ich sagen will. Humor transportiert sich im Übrigen genauso.
Joja Wendt
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Ich freu mich sehr, dass es wieder los geht und ich endlich wieder spielen kann. Es ist für mein ganzes Leben einfach notwendig, dass ich auf der Bühne spiele.
Fotocredit: Christian Barz